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EIN GESPRÄCH ÜBER DIE AUTOMATISIERUNG IN DER PRODUKTIONSLOGISTIK

Autonom oder doch manuell?
Frank Heptner Im Gespräch

Automatisierung verspricht mehr Effizienz in der Produktionslogistik. In manchen Fällen kann aber auch ein manuelles oder teilautonomes Szenario wirtschaftlicher sein als der vollautonome Betrieb. Was den Unterschied macht, erklärt Digitalisierungsexperte Frank Heptner. Er ist Senior Director Sales & Realisation Automation and Intralogistics bei Linde Material Handling.


Herr Heptner, kürzlich haben Sie bei einem Vortrag betont, dass das vollautonome Produktionslager nicht „automatisch“ auch das wirtschaftlichste ist. Warum nicht?

Wie in vielen komplexen Gebieten lautet die Antwort: weil es darauf ankommt. Zahlreiche Einflussfaktoren spielen eine Rolle, die über die richtige Lösung entscheiden. Gerade mit dem zunehmenden Grad der Automatisierung ist die digitale Vernetzung von unterschiedlichen Bereichen wesentlich stärker ausgeprägt und somit erhöht sich auch die Komplexität. Pauschale Antworten wären daher zu kurz gegriffen.


Inwieweit gilt das besonders für die Produktionslogistik?

Wir erleben in der Produktionsversorgung einen erheblichen Effizienzdruck. Die Kunden der Hersteller erwarten gleichermaßen kurze Lieferzeiten, eine große Produktvielfalt und eine hohe Flexibilität. Um hier mithalten zu können, sind in manchen Betrieben größere logistische Anpassungen notwendig.


Um welche Anpassungen geht es?

Grob gesagt geht es um den Dreiklang „flexibler, wandelbarer, skalierbarer“. Flexibler werden Firmen, wenn sie ihre Strukturen und Materialflüsse optimieren. Eine höhere Wandelbarkeit meint, dass sich bestehende Produktionsumgebungen leichter erweitern und modular den veränderten Anforderungen anpassen lassen. Für eine bessere Skalierbarkeit braucht es wiederum eine effiziente Logistikstrategie und idealerweise autonome Logistikprozesse. In allen drei Dimensionen ist die digitale Vernetzung ein Muss. Nur kommt es je nach vorhandenem Equipment (zum Beispiel Flurförderzeuge und Fördertechniken), der Produktionsumgebung, den vorhandenen Prozessen und den zu transportierenden Ladungsträgern auf das richtige Maß der Automatisierung an.


Welchen Maßstab setzen Sie dafür an?

Im fortschrittlichsten Fall gibt es schon heute den vollautonomen Betrieb, in dem das Fahren und das Be- und Entladen komplett automatisiert sind. Dem gegenüber steht der rein manuelle Betrieb. Dazwischen haben sich teilautonome Lösungen etabliert, bei denen entweder das Fahren oder das Be- und Entladen automatisiert erfolgen. Insgesamt geht der Trend zu vollautonomen Systemen. Jedoch sind nicht alle autonomen Lösungen wirtschaftlich. Eine genaue Prozessanalyse ist daher bei jedem Projekt notwendig.


Grafik mit den verschiedenen Produktionslogistik-Lösungen

Produktionslogistik-Lösungen von manuell über teilautomatisch bis vollautomatisch

Der Trend geht zu vollautonomen Systemen. Jedoch sind nicht alle autonomen Lösungen wirtschaftlich. Eine genaue Prozessanalyse ist daher bei jedem Projekt notwendig.

Wie erfolgt eine solche Prozessanalyse?

Wir erfassen zunächst die Infrastruktur mit allen Informationsprozessen und legen gemeinsam mit dem Kunden die Anforderungen für das Projekt fest. Darauf aufbauend bewerten wir die technischen Möglichkeiten und priorisieren Lösungen. Das Herzstück der Analyse ist eine umfangreiche Automatisierungs-Matrix. Diese Matrix haben wir erstellt, um alle auf dem Markt vorhandenen Lösungen gegenüberzustellen. Dabei wurden die Lösungen auf Eignung für unterschiedliche Prozesse und Ladungsträger bewertet. Für jedes Projekt erfassen wir alle notwendigen Transportprozesse und Ladungsträger. Im Anschluss entnehmen wir für jeden dieser Prozesse die potenziellen Lösungen aus der Matrix. Dann berechnen wir die Wirtschaftlichkeit. Wir bewerten alle Transportlösungen unter Berücksichtigung des Volumens, kalkulieren den Return on Invest sowie die Grenzkosten und beziehen auch qualitative Faktoren ein. Die qualitativen Faktoren ermitteln wir gemeinsam mit dem Kunden und gewichten sie. Diese abschließende Evaluation berücksichtigt die gewachsenen Strukturen des Unternehmens und seine Schwerpunkte, etwa in puncto Arbeitssicherheit, Nachhaltigkeit oder Ergonomie. Kunde A legt beispielsweise besonderen Wert auf Flexibilität bei gleichzeitig höchsten Sicherheitsanforderungen. Für Kunde B ist hingegen die Umschlagleistung bei einer minimalen Fehlerrate von größter Bedeutung. Diese Faktoren entscheiden am Ende, ob, und wenn ja, in welche – teil- bis vollautomatische – Lösung investiert werden sollte. Diese Abwägung muss bei jedem Projekt individuell und zusammen mit dem Kunden erfolgen, um den unterschiedlichen Anforderungen Rechnung zu tragen.


In welchen Fällen würden Sie überhaupt noch eine manuelle Lösung empfehlen?

Das hängt unter anderem von der Produktivität der eingesetzten Transportmethoden ab. Fällt in einem Lager zum Beispiel häufig ein manueller Einzelwaren- oder Doppelstocktransport an, ist zwar der Grad der Transporteffizienz eher gering, aber dafür bewerten wir die Flexibilität bei Routenänderungen hoch. Umgekehrt ist ein manueller Bündeltransport zwar sehr effizient, aber die Fahrflexibilität fällt niedriger aus. Je nachdem, wie gut die eingesetzten Methoden zur Produktionsumgebung und den Ladungsträgern passen, kann es sein, dass wir die manuelle Lösung priorisieren.

Die Optimierung der manuellen Prozesse kann bereits zu einer Effizienzsteigerung führen. In diesen Fällen empfehlen wir zunächst eine Prozessoptimierung und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine Automatisierung.

Gäbe es für diese Fälle nicht auch eine wirtschaftliche vollautomatische Lösung?

Dieser Frage gehen wir mit Hilfe der Lösungsmatrix intensiv nach. Autonome Fahrzeuge sind oft effizienter, aber darum geht es nicht allein. Ein Logistikzug mit autonomem P-MATIC-Schlepper ist in Sachen Transporteffizienz nahezu unschlagbar, aber passt er auch am besten zum Produktionslager? Oder braucht der Betrieb aufgrund seiner Lagerstruktur und Materialflüsse eher eine Lösung, die maximale Flexibilität bei Routenänderungen bietet? Dann wäre im Bereich der autonomen Fahrzeuge zum Beispiel eine Turtle-Lösung die richtige Wahl, die aber wiederum einen geringeren Grad an Transporteffizienz als bestimmte manuelle Lösungen aufweist. Bei teilautonomen Systemen kommt hinzu, dass sich autonome Fahrzeuge auch ohne Unfallrisiko im Arbeitsumfeld von Menschen bewegen und ihnen zuarbeiten müssen. Unterm Strich findet sich tatsächlich meist ein effizienteres Szenario mit teil- oder vollautomatisierter Logistik. Es kommt dann entscheidend darauf an, wie hoch das Investment ausfällt. Außerdem kann bereits eine Optimierung der manuellen Prozesse zu einer solchen Effizienzsteigerung führen, dass wir zunächst eine Prozessoptimierung vorschlagen und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine Automatisierung empfehlen. Somit verhelfen wir den Kunden zu einer fundierten Einschätzung auf langfristige Sicht mit der richtigen Vorgehensweise.


Wie stark nehmen die Kunden Ihre automatisierten Lösungen schon an?

Bei Großladungsträgern und Kommissionierwagen haben wir schon viele teilautomatische Prozesse implementiert, meistens mit autonomem Transport und manuellem Be- und Entladen. Als automatisierte Fahrzeuge haben sich vor allem die Linde MATIC-Lösungen mit intelligenter Konturnavigation bewährt. Sie decken heute bereits 80 Prozent aller Handling-Aufgaben ab. Vollautomatische GLT-Lösungen sind bislang in der Produktion überschaubar, da bei vielen Übergabestellen die Wirtschaftlichkeit noch eine Hürde ist. Bei Anwendungen mit wenigen Übergabestellen sind bereits vollautomatische Projekte realisiert worden. Bei den Kleinladungsträgern sind erste Systeme für teilautomatische Prozesse im Einsatz, meist mit automatischem Fahren. Für vollautomatische Prozesse führen wir Pilotprojekte durch, um wirtschaftlich abbildbare Lösungen zu etablieren. Dabei sind wir zuversichtlich, dass neue Ansätze entstehen, die Versorgungsprozesse in der Produktion schon bald aufs nächste Level heben werden.


Herr Heptner, vielen Dank für das Gespräch.